Wer 1985 in Wien auf ein Bier gehen wollte, hatte mit einem Problem jedenfalls nicht zu kämpfen: der Qual der Wahl. Die meisten Lokale hatten ein Fassbier (in der Regel ein Märzen) im Angebot und wer daneben noch ein dunkles Bier oder ein Weizen auf der Karte hatte, ging schon fast als Bierpub durch. Kein Wunder, dass das Ehepaar Alfred Greiner und Alice Sieghart mit ihrem „Känguruh“ getauften Beisl schon bald eine beliebte Anlaufstelle für eine vor allen studentische Kundschaft waren, die hier aus knapp 60 verschiedenen Bieren wählen konnten, hauptsächlich österreichischer, deutscher und italienischer Provenienz. (Der Lokalname hat dabei nichts mit einem Australienbezug zu tun. Greiner war einfach auf der Suche nach einem lustigen Namen, stand eines Tages vor einem Innenstadtlokal namens „Rosa Elefant“ und hatte plötzlich die Idee mit dem exotischer Tier.)
Die Jahre – eigentlich sogar Jahrzehnte – flossen dahin, (Stamm-)gäste kamen und gingen, aber was bis heute blieb ist das umfangreiche Angebot von sieben Fassbieren und weiteren inzwischen rund 180 aus der Flasche. Wichtigstes Importland ist dabei Belgien mit Abstand vor Italien, Großbritannien und Deutschland. „In Belgien gibt es einfach eine enorme Auswahl an Bierstilen, die bei uns völlig unbekannt sind, von Frucht- über Sauerbieren bis hin zu den spontanvergorenen Lambics. Und das kommt auch bei den Gästen gut an“, freut sich Alfred Greiner.
Preisproblematik
Beliefert wird das Lokal bei den heimischen Sorten meist direkt von der jeweiligen Brauerei, bei den Importbieren zum Großteil von einem Großhändler, bei dem zwar die Auswahl stimmt, der allerdings bei der Preisgestaltung zusehends für Kopfzerbrechen sorgt. Denn preislich versuchen Alfred Greiner und Alice Sieghart soweit wie möglich auf der bodenständigen Seite zu bleiben. Bedeutet: In der Regel kosten die Krügeln vom Fass ebenso wie die meisten 0,33-l-Flaschen zwischen 5 und 6 Euro, besondere Spezialitäten natürlich ausgenommen. „Wir werden über kurz oder lang wieder schauen, dass wir die Biere zumindest aus Belgien wieder selbst importieren, wie vor Corona“, seufzt Alfred Greiner. Aber der USP des Lokals sei einfach, Biere anzubieten, die der Konsument sonst nicht bekommt.
Und neugierig sind die meisten Gäste. Viele bleiben nicht bei ihrer Lieblingssorte hängen, sondern kosten sich quer durch das Angebot. Insgesamt habe sich die Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Bierstilen in den letzten Jahren – wohl auch durch die Craftbierszene – deutlich verbessert. Probleme mit der nötigen Drehung gibt’s dabei keine. Zum einen sorgen die Betreiber dafür, dass die einzelnen Posten zwar gut, aber nicht übermäßig bestückt sind, sodass die Biere immer frisch sind („Wenn ein bestimmtes Bier mal aus ist, dann ist es an dem Tag halt aus.“), zum anderen glänzen gerade die belgischen Biere mit einer oft jahrelangen Haltbarkeit.
Kein 27. Lager auf Lager
Bei der Auswahl der Biere schauen die Gastronomen vor allem auf den eigenständigen Stil. Bedeutet: Man hat nicht das 27. IPA oder Lager auf Lager, auch wenn es vielleicht aus Taiwan kommt, aber trotzdem wie ein europäisches Industriebier schmeckt, sondern Biere mit eigenständigem Charakter, was dann u. U. auch eine gewisse Beratungsleistung impliziert. „Wenn etwa jemand ein extremes Sauerbier bestellt, fragt man notfalls auch aktiv nach, ob derjenige auch weiß, was er da ordert. Und der eine oder andere ist dann auch dankbar für den Hinweis“, lacht Greiner.
Wichtig ist den beiden Biergastronomen auch die passende Glaskultur, also im Idealfall zu jedem Bier das passende Glas, oder zumindest nicht gerade eines mit fremdem Logo. Greiner: „Das zahle ich dann auch gerne, weil ob ich die Gläser jetzt beim Metro kaufe oder bei der Brauerei, ist mir egal.“
„Importierte“ Kulinarik
Ach ja, und wer sich gefragt hat, wie das kulinarische Angebot im Känguruh aussieht: Auch dafür haben die beiden Inhaber, die großteils den Laden alleine schupfen, eine Lösung gefunden: „Früher gab es wirklich nur ein paar Snacks, etwa Käsewürfel zum Knabbern. Aber immer öfter wollten die Gäste auch etwas Warmes essen. Dann hieß es oft: ‚Wir gehen kurz woanders hin und kommen nachher wieder.‘ In der Realität ist kaum jemand an dem Abend nochmal gekommen, diese Gäste waren verloren“, so Alice Sieghart. Die Lösung bot sich an, als einmal Gäste fragten, ob sie im Nebenlokal Speisen ordern dürften. Für Greiner und Sieghart kein Problem und aus dem Provisorium wurde rasch eine Dauerlösung. Wer heute im Känguruh hungrig ist, bestellt (ohne Aufpreis) etwas von der Karte des Nachbarlokals. Die eigenen Gäste sind happy, bleiben länger sitzen und bestellen mehr Bier und auch der Nachbar freut sich über ein Umsatzplus. Win-win also für alle Beteiligten.
Wiens erste Bier-Cocktailbar
Weil sich Biere aber eben nicht nur zum Pur-Genießen eignen, sondern auch zum Mixen, hat das Gastronomenpaar vor rund zehn Jahren eine Dependance gleich im Nebenhaus des Känguruh geschaffen. Als Hommage an den gemeinsamen Sohn Timo wird hier in „Timo’s Living Room“ eine Cocktailbar geführt, die – erraten – vor allem für ihre Biercocktails bekannt ist.