GASTRO: Frau Molcho, Sie sind eigentlich Quereinsteigerin und haben Psychologie studiert, sich aber immer schon für das Kochen interessiert. Wie kam es dann dazu, aus dem Hobby einen Beruf zu machen?
Haya Molcho: Hobby kann man so eigentlich nicht sagen. Mein Mann Samy Molcho ist ja Künstler und ich habe jahrelang mit ihm ein Nomadenleben gelebt. Von Indien über China bis Japan waren wir unterwegs und ich habe in dieser Zeit in verschiedensten Ländern in professionellen Küchen gearbeitet.
Also ich habe zwar keine klassische Kochausbildung, kochen gelernt habe ich allerdings sehr wohl. Ich habe in diesen sieben Jahren die Weltküche kennengelernt. Natürlich war da mein Glück, dass die Leute meinen Mann kannten und wir tolle Leute kennengelernt haben, die mir dann Türen öffnen konnten. Das war einerseits eine extrem lehrreiche und spannende, aber auch harte Zeit. Als wir uns dann in Wien niedergelassen haben, habe ich in Wien ein Cateringunternehmen eröffnet, das unglaublich schnell gewachsen ist, weil ich von einem Kunden zum nächsten herumgereicht wurde. Da habe ich dann für Events gekocht von bis zu 2000 Leuten, sowohl im privaten wie auch im Businessbereich und so habe ich mir einen Namen gemacht mit meiner levantinischen Küche. „Wenn man was Alternatives ausprobieren will, nimmt man die Haya“ haben die Leute bald gesagt.
Schnitzel und Schinkenfleckerl gabs bei Ihnen nie?
Nein, niemals! Niemand hat vorher so gekocht wie ich, ich habe eine ganz neue Linie nach Österreich gebracht. Auch weil ich wusste, dass ich nicht so sein darf wie die anderen. Es gibt genug gute Caterer sonst in Österreich. Ich wollte etwas Neues machen, wo Speisen im Papier serviert werden oder man mit den Händen isst, mit viel frischem Gemüse und eben Rezepten, die es in Österreich sonst noch nicht gab. Und wir haben immer ganz frisch, direkt vor den Gästen gekocht.
Sie sind aber auch bald in die Gastronomie eingestiegen.
Ja das war 2009 mit „NENI am Naschmarkt“. Dort haben dann auch gleich drei meiner vier Söhne – Nuriel, Elior und Ilan – mit angefangen mitzuarbeiten. Nur Nadiv kommt ganz nach seinem Vater, ist Künstler und arbeitet als Schauspieler in Los Angeles.
Vom Naschmarkt aus starteten die Molchos ihre Erfolgsstory.
Wie hat sich Ihr – „Gastroimperium“ muss man eigentlich schon beinahe sagen – entwickelt? Sie haben ja mittlerweile Restaurants in halb Europa?
Wir haben tatsächlich fast im Jahresrhythmus neue Lokale eröffnet, inzwischen sind es elf Stück. Diese Expansion war dabei gar nicht so geplant, sondern man ist meist an uns herangetreten. Auch unsere Supermarktlinie war nicht unsere Idee, sondern Spar ist kurz nach der Eröffnung von NENI am Naschmarkt zu uns gekommen und die Nachfrage ist so gestiegen, dass wir im LEH inzwischen über die Hälfte unseres Umsatzes machen. Wie wir begonnen haben, für Spar zu produzieren, hatten wir noch nicht mal eine anständige Produktionsanlage. Wir haben buchstäblich in einer Garage alles in Handarbeit hergestellt.
Ist offensichtlich nicht das schlechteste Rezept. Auch Bill Gates oder Jeff Bezos haben so begonnen.
Oder Red Bull. Das waren alles ambitionierte Leute, oft Quereinsteiger mit einer Vision. Unter den Voraussetzungen schafft man es auch.
Inzwischen gibt es also elf Standorte – ist eine weitere Expansion geplant?
Nächstes Jahr wird NENI in Kopenhagen eröffnet, Dubai ist gerade in Überlegung und nächstes Frühjahr bauen wir den Tel Aviv-Beach am Donaukanal in Wien komplett um und machen ein Restaurant draus, das „NENI am Wasser“. Und ich plane in der Nähe des Naschmarktes eine NENI-Bakery, in der ich nur Frauen beschäftigen möchte, weil Frauen in unserer Branche unbedingt gefördert werden sollten.
Sind Ihre Lokale eine Art von Systemgastronomie, wo sich Stil und Rezepte überschneiden oder hat jedes ein individuelles Konzept?
Nein Systemgastronomie ist das keine. Wir nehmen die Stadt in unseren Konzepten mit. Natürlich gibt es etliche NENI- Klassiker, die man überall findet, die die Leute immer essen wollen, wenn sie zu uns kommen. Dazu gehört Shakshuka oder Hummus oder unser Jerusalem Teller. Aber sonst habe ich in jedem Lokal einen anderen Küchenchef, der seinen Stil mit einbringt, mit eigenen Rezepten. NENI wird dabei immer hip sein. Wir werden nie die klassischen weißen Tischtücher verwenden, wir werden nie Nouvelle Cuisine anbieten.
Was genau ist jetzt Ihr Part im Betrieb? Die des letztinstanzlichen Chefs? Oder werden Entscheidungen gemeinsam mit Ihren Söhnen getroffen?
Nein, Chef bin ich gar nicht, CEO ist einer meiner Söhne. Ich bin vor allem für die Produktentwicklung zuständig und ich bin das Gesicht nach außen. Bei uns sind die Aufgaben klar aufgeteilt, jeder ist für einen anderen Bereich verantwortlich, auf den er auch spezialisiert ist und daher von den anderen auch akzeptiert wird. Dadurch findet man auch für alle Probleme letztlich eine gute Lösung. Wenn wir alle nur Köche oder nur Marketingexperten wären, das wäre eine Katastrophe.
Wie sieht es bei so vielen Standorten mit der Kontrolle aus? Sie können ja schlecht jedem Lokal jede Woche einen Besuch abstatten?
Wir haben das Glück, gute Mitarbeiter zu haben und da sind Top-Leute dabei, die eigentlich nur unterwegs sind, von Hamburg bis Paris in den Lokalen nach dem Rechten sehen und die Leute dort unterstützen und sie auch schulen. Man darf in diesem Bereich nicht geizig sein und alles selber machen wollen. Und man muss vertrauen können. Wenn du nicht loslassen kannst, wirst du auch keinen Erfolg haben.
Das Geschäft hat bei uns zwar nie Pause, aber dafür nehme ich mir dann auch mal drei Wochen Auszeit und gehe auf Ayurveda, Yoga oder Meditation und dann ist wirklich Pause. Dann nehme ich nicht mal ein Handy mit und vertraue darauf, dass alles klappt. Und wenn das nicht klappt, dann mache ich was falsch. Anders gesagt: Man sollte nicht gierig sein und das Geld auch teilen können. Du wirst nicht reich in der Gastronomie, aber du wirst glücklich, wenn du es richtig machst. Und wenn du nicht glücklich bist, dann mach was Anderes.
In den NENI-Küchen herrscht ein Mischmasch an Nationalitäten und Küchenstilen.
Wie viele Mitarbeiter haben Sie derzeit und wie schwierig ist das Thema für Sie?
Mitarbeiter habe ich alleine in Wien etwa 200 und insgesamt etwa 500. Und es ist aktuell ein Riesenproblem! Die Gastronomie wird sich umstellen müssen, höhere Gehälter zahlen, mehr Freizeit gewähren müssen. Es geht nicht mehr so wie früher. Dabei werden die Gäste lernen müssen, mehr zu bezahlen. Nachhaltigkeit, Bio-Qualität sind alles wichtige Trends, bei uns ist auch das vegetarische und vegane Angebot ganz wichtig. Hohe Qualität ist wichtig, die kostet aber auch Geld, genauso wie die höheren Gehälter für die Mitarbeiter. All das wird der Kunde in Zukunft bezahlen müssen. Wer das nicht will oder kann, muss zu McDonald’s & Co. gehen.
Werden die höheren Preise am österreichischen Markt durchsetzbar sein?
Ja ich glaube schon. Ich hoffe auch, dass die Supermärkte da mitmachen und weggehen von dem billig-billig. Gute Lebensmittel sind wertvoll und haben ihren Preis und wir wollen die Mitarbeiter fair entlohnen. Da geniere ich mich nicht, dafür auch höhere Preise zu verlangen.
Wie würden Sie Ihren Kochstil bezeichnen? Traditionell israelisch bis levantinisch? Authentisch oder neu interpretiert? Und was ist das Besondere dabei?
Ja es ist authentisch, aber die Küche in Israel, speziell in Tel Aviv, entwickelt sich ja auch enorm. Letztlich ist es eine Art Fusion-Crossover-Küche, die auf israelischen, levantinischen Rezepten basiert, aber auch ganz andere Einflüsse aufgreift. Da kann dann auch mal Kimchi aus Korea oder ein französisches Rezept eine Rolle spielen. Und wie schon gesagt, wird vegetarisch und vegan immer stärker. Die jungen Leute wollen heute gesund essen. Sie leben insgesamt bewusster und sind auch bereit, mehr Geld für gesundes Essen auszugeben. Dafür gehen sie vielleicht nicht jeden Tag ins Restaurant. Das ist eine wichtige Zielgruppe. Ganz typisch für uns sind auch Sharing-Angebote für den ganzen Tisch, wo man sich durch alles Mögliche durchkosten kann.
Ist koschere Küche auch ein Thema?
Nein überhaupt nicht. Das ist etwas für die orthodoxen Gläubigen, aber das bin ich nicht, ich bin auch nicht religiös. Ich bin modern, ich habe alle Religionen in meinen Küchen und darauf bin ich stolz. Ich sage immer, ich mache Frieden in der Küche. (lacht)
Wie erklärungsbedürftig sind Ihre Gerichte bei den meisten Gästen, nachdem diese Küche ja bei uns kaum Tradition hat?
Natürlich müssen alle unsere Mitarbeiter diesbezüglich geschult werden. Die Köche ohnehin aber auch die Serviceleute, um den Gästen zu erklären, was sie hier essen. Und alle Küchenchefs kommen mit uns auch mal für ein paar Tage nach Israel, um den Spirit zu erleben.
Info
Haya Molcho wurde 1955 in Tel Aviv geboren und zog als Kind mit ihren Eltern nach Bremen, wo sie die Schule besuchte und Psychologie studierte. Seit 1978 ist sie mit dem bekannten Pantomimen und Regisseur Samy Molcho verheiratet, mit dem sie aufgrund seiner Tätigkeit durch Indien, Japan, China, Marokko und viele weitere Länder reiste, bevor sie sich mit ihm in Wien niederließ. Aus dieser Ehe stammen vier Söhne, Nuriel, Elior, Nadiv und Ilan, wobei sich aus den Anfangsbuchstaben dieser Vornamen auch der Name der Marke NENI ergibt. Nadiv (*1990) lebt und arbeitet als Schauspieler in Los Angeles, die anderen drei Söhne arbeiten in unterschiedlichen Bereichen an vorderster Front im Familienunternehmen mit: Nuriel (*1984) als Chef Marketing Officer, Elior (*1986) als General Manager der Restaurants in Wien und Ilan (*1987) als CEO der NENI Holding GmbH.
Neben dem NENI am Wiener Naschmarkt, das 2009 eröffnet wurde, führt Haya Molcho derzeit auch das NENI am Prater, den Tel Aviv Beach am Donaukanal (der im kommenden Frühjahr als „NENI am Wasser“) neu eröffnet werden soll sowie Restaurants in München, Berlin, Hamburg, Köln, Zürich, Paris, Amsterdam und Mallorca. Ein weiterer Standort in Kopenhagen ist bereits fix für 2022 geplant. In allen NENI-Restaurants, die von einer Fusion-Levante-Küche geprägt sind, ist das Sharing-Prinzip im Fokus, denn Teilen im Kreise der Familie und Freuden ist ein wichtiger Bestandteil des Lebens von Haya Molcho.
Einen wesentlichen Teil ihres Umsatzes macht Molcho inzwischen aber mit Produkten wie Hummus, Falafel oder Baba Ghanoush, die sie unter der Marke „NENI am Tisch“ in Supermärkten vertreibt. Außerdem hat Haya Molcho mehrere Kochbücher („Tel Aviv“, „Balagan“, „Feuerküche“ und „Lust auf fremde Küche“) verfasst.