Herr Niederkofler, Sie haben 2008 mit Cook the Mountain die Bergküche ins Leben gerufen, warum? Gab es da einen Aha-Moment?
Ich habe die Leute, die zum Essen kamen, gefragt, warum sie hierherkommen, zu uns nach Südtirol und die haben gesagt: Wegen der Berge. Da dachte ich, aber das, was ich jetzt koche, hat wenig mit den Bergen zu tun. Und das wollte ich ändern. So entstand die Bergküche, mit Produkten aus der Bergkultur, wie wir sie nennen. Eine Küche, die von der Natur vorgegeben wird.
Was genau dürfen wir uns bei der Bergküche vorstellen?
Bei Cook the Mountain muss man wie früher handeln, zum Beispiel ein Jahr im Voraus denken. Wie kann ich etwas haltbar machen, um die Fülle der Sommermonate zu bewahren. Wir fermentieren viel und frieren viel ein. Und wir salzen auch ein und machen mit Traubenkernöl haltbar, weil das geschmacksneutral ist.
Im Winter ist die Zeit, wo man mit den Bauern zusammensitzt und Pläne macht und von Frühling bis Oktober „rennst Du und rennst Du“.
Die Bergküche heißt: Auf 2.000 Metern Höhe muss man anders denken, in unterschiedlichen Höhenlagen. Höhe und Talschaften bringen ganz andere Produkte hervor. Die Natur gibt die Karte vor.
Wir mussten auch erst lernen, mit Biodiversität zu arbeiten, heute sind es 500 verschiedene Produkte, mit denen wir arbeiten. Pilze oder Wurzeln und Sojasauce machen wir zum Beispiel aus Berglinsen.
War das Konzept sofort von Erfolg gekrönt?
Nicht gleich. Man muss sich eine Kette von Zulieferern ausbauen, das ist aufwändig, aber jetzt haben wir 30 Produzenten. Wir haben alte Tierrassen, wilde Kräuter und alte, vergessene Obst- und Gemüsesorten für Cook the Mountain neu entdeckt bzw. wieder angebaut. Ich habe fünf Jahre für das Konzept gebraucht!
Gibt es einen Unterschied zur Alpinen Küche, die sich im Alpenraum ganz stark durchsetzt?
In der Basis nein, im Konzept ja, weil wir es viel strenger ausgelegt haben: kein Gewächshaus, kein Olivenöl, keine Zitrusfrüchte. Dafür verwenden wir viel Beeren, weil die Säure brauchen wir ja.
Sie beschreiben Ihre Küche als italienisch- österreichisch inspiriert. Was ist der österreichische Part dabei?
Der Einfluss der Österreichisch-Ungarischen Küche ist generell groß, die Basisprodukte kommt von dort und in der Patisserie ist das Erbe sowieso vertreten.
Zero Waste wird in der gehobenen Küche immer populärer, wie setzen Sie diese um?
Wir hatten zum Beispiel ein Signature Dish „Es war einmal eine Bachforelle“, bei dem ich gesagt habe: Wir stehen nicht auf, bevor alles aufgegessen ist. Wir verwenden alles: Die Haut, die Innereien – daraus machen wir zum Beispiel ein Garum.
Wir haben beim Menü auch immer zwei Hauptgänge: Einmal mit dem edlen Teil und einmal mit dem nicht edlen Teil. Und den Gästen schmeckt das nicht Edle am besten, weil sie das sonst nicht mehr kriegen. Zero Waste bedeutet aber, dass man sich Gedanken machen muss und man muss auch kochen können.
Sie arbeiten mit vielen kleinen Produzenten, kaufen dort direkt ein. Wie funktioniert das, geben Sie ihnen eine Abnahmegarantie?
Wir haben nie eine Exklusivität mit den Bauern, aber wir nehmen ihnen ab, was sie haben. Einmal hat mich einer angerufen und gesagt: Ich habe Zwetschken. Frage ich ihn, wie viel hast Du denn? Fünf Bäume, meint er. Aber dass es dann 200 kg Zwetschken waren, damit habe ich nicht gerechnet. Wir haben dann Ketchup draus gemacht und bieten es als Brotaufstrich an. Und 90 Prozent der Gäste fallen drauf rein und meinen, es ist Tomate.
In unseren beiden Betrieben brauchen wir Ware im Wert zwischen 500.000 € und 700.000 € und beziehen alles direkt von den Produzenten. Das ist ein Wirtschaftsfaktor, der nicht zu vernachlässigen ist. Wichtig wäre deshalb seitens der Politik, auch die kleinen Bauern zu fördern.
Wie vermitteln Sie den Gästen, woher die Produkte kommen, schreiben Sie diese auf der Karte an?
Nein, wir schreiben auf der Karte nichts an, aber die Servicemitarbeiter erzählen darüber. Wir machen Story Telling!
Den dritten Stern gab es für Rote Beete und Kartoffeln, haben Sie einmal gesagt!
Im Interview habe ich gesagt, das ist toll, dass man für Rote Beete einen Stern bekommt. Wir haben damals Rote Beete Gnocchi mit flüssigem Kern aus Meerrettich gemacht, diese Kombination hat das Ganze so besonders gemacht. Chapeau an Michelin für diese Auszeichnung, die besagt: Wenn Du nur mit Produkten aus der Umgebung kochst, bekommst Du einen Stern. Es ist eine Message an die Jungen. Mit dieser Küche konserviert man die Kultur!
Herr Niederkofler, Sie bezeichnen Eckart Witzigmann als wichtigen Mentor Ihrer Berufslaufbahn, warum?
Von ihm habe ich die Konsequenz, die er gelebt hat, mitgenommen. Und offen sein, was in der Welt passiert. Witzigmann war der erste Sternekoch außerhalb Frankreichs und hat viele erfolgreiche Leute ausgebildet, er ist ein Visionär.
Mit Mo-Food betreiben Sie ein Beratungsunternehmen für die Gastronomie, was genau steckt da dahinter?
Wir machen das seit 2010, haben die Philosophie von Cook The Mountains aufgearbeitet. Die Küche der Berge neu zu interpretieren. Immer unter dem Ansatz einer ethischen und nachhaltigen Küche. Mit Cares, das ursprünglich ein Lifestyle-Event war, haben wir jetzt eine Veranstaltung, wo Köche aus aller Welt kochen – ökologisch, nachhaltig, ethisch. Denn das Agieren mit Luxus passt da nicht mehr zu unserer Philosophie. Wir haben Wissenschaft und Wirtschaft dazu geholt, wir haben die Leute „connected“, wie man heute sagt. Da wird immer eine spezielle Küche gekocht, wie zum Beispiel „Küche aus der Lagune“.
Seit Juni haben Sie das Atelier Moessmer, inwiefern unterscheidet sich dieses von anderen Restaurants?
Das Atelier Moessmer ist nicht nur Restaurant, sondern vor allem Ausbildungsstätte für junge Leute. Wir möchten hier auch Leute, die schon bei uns waren, wieder zurückholen.
Und wir wollen den Beruf in der Gastronomie wieder interessant machen. Alle die kommen haben schon eine Ausbildung. Und unser gesamtes Team ist aus dem Hubertus. Auch beim Essen haben wir einen anderen Ablauf geschaffen, einen, wie zu Hause. Man muss an der Glocke läuten, es gibt zwei Aperitifräume und dann geht man ins Esszimmer oder in die Küche. Wir haben da einen großen Tisch. Das wäre früher undenkbar gewesen, denn die Küche ist die Heilige Kuh in der Gastronomie.
Du kommst zu jemanden nach Hause! So sehen wir das Atelier Moessmer!
1994 beginnt Norbert Niederkoflers Karriere im Hotel Rosa Alpina in Alta Badia, wo er aus der einstigen Pizzeria ein feines Restaurant macht. Hier eröffnet er auch das St. Hubertus, mit dem er 2000 den ersten und 2007 den zweiten Michelin-Stern erhält. Der dritte Stern erfolgte 2017.
2018 eröffnet er das AlpiNN , das Food-Space & Restaurant am Kronplatz auf 2.275 Metern, seit Juni 2023 leitet er das Atelier Moessmer in Bruneck. Eine Werkstatt der Kreativität in der ehemaligen Executive Villa der Tuchfabrik Moessmer, die zu den ältesten Stoffproduzenten der Welt zählt und wo auch der Südtiroler Schriftsteller Joseph Zoderer werkte.
2020 wurde Norbert Kofler für sein nachhaltiges Engagement mit dem Grünen Michelin Stern ausgezeichnet und er ist Initiator eines Lehrgangs mit Bachelor-Abschluss in „Gastronomie und Önologie in Bergregionen“ an der Freien Uni Bozen.